Burg Herzberg Festival 2002 Presse

HERSFELDER ZEITUNG
von Ulla Morgner -
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Noch kein Frühling in "Freak City"

20.000 Hippies tummelten sich am Wochenende auf dem Burg Herzberg Open Air-Festival.

Breitenbach/H. "Mach mal Tai Chi und nicht Kung Fu", weist ein bunt gekleideter Mann eine junge Frau an, die zwei Tennisbälle an Schnüren um ihren Oberkörper kreisen lässt. Mit seinen "Kiwidos" zaubert er wie nebenbei gleichmäßige Kreise in die Luft. "Kiwido ist eine Jonglage, die aus dem Tai Chi kommt", erklären er und sein Bekannter "Bibi".
Szenen dieser Art gehören zum Burg Herzberg Open-Air dazu wie das Lagerfeuer zur Cowboyromantik. Sechs Tage und Nächte haben die Veranstalter mit einem prallen Musik- und Theaterprogramm gefüllt. Unter dem Motto "Stand up against hate – Hippies unite against war and racism", kurz: Standhafte Hippies gegen Gewalt und Rassismus, tummeln sich Tausende auf den Wiesen oberhalb des Hofes Huhnstadt, direkt an der B 62. "Freak City" nennen sie den Platz, der einmal eine Wiese war.
"Grateful Dead"-Sänger und -Gitarrist Bob Weir eröffnete am Donnerstagabend mit der Formation "Rat Dog" das beinahe pausenlose Musikprogramm. Auftritte von mehr als vierzig Musikern und Bands unterschiedlicher Genres, vom Sixties-Rock bis zum Country Blues, folgten.
Für einen Großteil der Festival-Besucher ist die Musik jedoch Nebensache. 20.000 sind es am Samstagnachmittag. Nur einige hundert versammelten sich auf dem vom Regen aufgeweichten Boden vor der Hauptbühne, als Bob Weir zur Gitarre griff. Viele blieben vor ihren auf der Wiese oberhalb der Bühne aufgebauten Zelten und lauschten der Band aus der Ferne.
"Die Musik ist nicht das Wichtigste", meint Silja. "Wir wollen uns keine bestimmte Band anhören." Besonders schön am Herzberg-Festival seien das "Drumherum", die Leute und die Stimmung. "Hier geht es nicht so kommerziell zu, wie bei anderen Festivals", erzählt die Gummersbacherin, die bereits zum neunten Mal nach Breitenbach gereist ist. Die Musik sei eine Zugabe, die man nebenbei mitnimmt, meint ein anderer Freak. Die Leute kämen hauptsächlich um Gleichgesinnte zu treffen. Während Silja drei Keulen jonglierend durch die Luft wirft, waten ein paar Meter weiter andere Besucher durch den mehrere Zentimeter hohen Matsch auf der Festwiese.
Rundherum sind Stände aufgebaut, an denen es Kleidung, Musikinstrumente und Leckereien aus aller Welt zu kaufen gibt. Von der Salzbrezel bis zum Linsenbratling steht alles zum Verkauf, was das Hippie-Herz begehrt. "All you need" verkündet ein Pappschild vor einem Stand, der wie ein Flower-Power-Kaufhaus anmutet. Bunte Lichter an den belebten Ständen erwecken den Eindruck von tausendundeiner Nacht, der rosige Abendhimmel tut sein Übriges und sorgt für romantische Stimmung.
Zum ersten Mal gibt es in diesem Jahr auch eine Theaterbühne. Die Akteure freuen sich über reges Interesse und passen ihre Texte dem Spielort an. "Die Hormone wissen nicht, wann es Frühling in Freak City ist", heißt es in einem Stück um paarungswillige Pinguine des Aktionstheaters Kassel. Acht internationale und nationale Theatergruppen zeigen ihre Produktionen. Den Ablauf organisieren Werner Zülch vom Aktionstheater und Olaf Spiers vom Artistiktheater aus Kassel.
"Tauch in den Spirit ein", empfiehlt ein Alt-Hippie und beschreibt damit treffend die Stimmung, die auf dem ganzen Areal zwischen Trommlern, Jongleuren und einfach nur entspannt Herumsitzenden herrscht.
An dem Schlamm, der an manchen Stellen fließt, stört sich keiner. Überall beste Stimmung, jeder geht auf seine Weise damit um. Die einen stülpen sich Plastiktüten über die Schuhe, andere hüpfen wie Ballerinas von einem Grasbüschel zum nächsten oder ziehen einfach die Schuhe aus und gehen barfuss.
Am zweiten Tag sieht es mit dem herbstlichen Wetter besser aus. Die Besucher sind sehr zufrieden. "Die Organisation ist hundertprozentig", lobt Old Hippie. Zweimal am Tag werden die Klohäuschen geleert, die überall auf dem Platz verteilt sind. Mehrere Duschen wurden aufgestellt und Mülleimer, die immer wieder von Helfern aus der Umgebung geleert werden. An drei Stellen hat das Rote Kreuz Stationen aufgebaut. Sanitäter laufen mit einem Erste Hilfe-Koffer Streife. Hin und wieder bringen sie "Zugekiffte" auf die Beine, erzählen zwei Helferinnen, sonst sei es ruhig. "Tüten" und Joints gehören zum Festival dazu. Unter den Geruch des aufgeweichten Bodens mischt sich immer wieder der Duft gerauchten Grases. Der Kampf für die Legalisierung sogenannter weicher Drogen ist allgegenwärtig. An Verkaufsständen, in Diskussionen oder auf Flugblättern findet sich immer wieder die Forderung "Legalize it".
Viele der Zeltbewohner kommen bereits seit Jahren zum Festival. Da es sich mittlerweile zum größten Hippie-Meeting Europas entwickelt hat, wurde es in den vergangenen Jahren von der Burg Herzberg auf die Wiesen oberhalb des Hofes Huhnstadt verlegt.
Hausherr Jürgen Freiherr von Dörnberg sieht das Ganze mit Humor. Wettergerecht mit Gummistiefeln ausgerüstet watet er über seinen aufgewühlten Grund und Boden, hält hier und da ein Schwätzchen und erklärt fröhlich den Anfahrtsweg zum Besucherparkplatz, wo Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr für einen reibungslosen Ablauf sorgen.
Die Polizei, wie bei allen Großveranstaltungen ständig präsent, lobt ausdrücklich das friedliche und soziale Verhalten der Festivalbesucher. Außergewöhnliche Vorkommnisse wurden bisher nicht gemeldet. (um)


Hippies reisen wieder ab

Viele Besucher verließen bereits am Montag das Burg Herzberg-Open Air.

Breitenbach/H. Nur noch wenige Festivalbesucher hielten sich gestern auf den Wiesen gegenüber der Burg Herzberg auf. "Wir fahren heute schon wieder nach Hause, da das Cornberg-Open Air nicht stattfindet", sagten einige. Wegen einer schweren Erkrankung des Veranstalters wurde das Festival, das direkt im Anschluss an das Burg Herzberg-Open Air stattfinden sollte, auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Viele Hippies, die an beiden Veranstaltungen teilnehmen wollten, waren deswegen bereits abgereist. Die beiden Wiesen oberhalb der Bühne, auf denen in den vergangenen Tagen 20.000 Hippies campierten, waren fast leer. Zwischen herumfliegenden Müllfetzen spielten noch einige Kinder mit ihren Gameboys und Bobby-Cars, einzelne "Freaks" machten es sich vor der Bühne oder übriggebliebenen Verpflegungsständen gemütlich.
Bei der italienischen Nacht am Montagabend waren so nur noch wenige Fans anwesend, unter denen aber dennoch gute Stimmung herrschte. Die orientalische Nacht, geplant für Dienstagabend, fiel ganz aus, da die Band, die dort auftreten sollte absagte.
Seit Montag laufen auch die Aufräumarbeiten auf den Wiesen oberhalb des Hofes Huhnstadt. Alle fünf Feuerwehren der Gemeinde Breitenbach sind im Einsatz, um die Überbleibsel des größten Hippie-Festivals in Europa zu beseitigen. Der Schützenverein Gehau und der Ortsverein des Roten Kreuzes helfen noch mit und sorgen für die nötige Betreuung.
Auch die Bühnentechniker waren froh, dass sie ihre Gerätschaften wieder abbauen können. Nach sechs anstrengenden Arbeitstagen freuten sie sich auf die Heimreise. Schwierigkeiten hatten sie wegen der problematischen Witterungsverhältnisse beim Aufbau gehabt. "Wir hatten alles schon aufgebaut und mussten es dann wieder sturmsicher abbauen", berichtete Thorsten Velbinger von einer Herzberger (im Harz) Ton- und Lichtfirma. Teilweise hatten die Techniker in den ersten Tagen nur eineinhalb Stunden Schlaf, da die enge Bühnenkonstruktion ein zeitsparendes Arbeiten unmöglich machte.
"Die Aufräumarbeiten laufen normal", berichtete Gemeindekämmerer Volker Jaritz. Schwierigkeiten wie im letzten Jahr, als es zu Problemen bei der Abwasser-Entsorgung kam, sollen in diesem Jahr vermieden werden. Der Inhalt der Chemietoiletten war damals mit Genehmigung in die Kanalisation eingeleitet worden. Wegen der zu großen Menge war er über einen Regenüberlauf unverdünnt in zwei Bäche gelaufen. "Die Gemeinde Breitenbach hat in diesem Jahr angeordnet, dass nichts ins System und in die Kläranlage eingeleitet werden darf", erklärte Jaritz. Die Entsorgungsmaßnahmen wurden dieses Jahr mit der Unteren Naturschutzbehörde abgesprochen.
Im Verlauf des Festivals kam es wegen Unstimmigkeiten mit der Firma, die in den vergangenen Jahren das Festival mit mobilen Klohäuschen bediente zu Konsequenzen. Der Veranstalter bezahlte die Firma aus Gelnhausen nicht, da er deren Verhalten und Absprache mit der Gemeinde Breitenbach als verwerflich ansah. Wegen der unbezahlten Rechnungen erwirkte die Firma am Samstag eine Kassenpfändung. Andere Lieferanten und Mitarbeiter seien dadurch verunsichert worden, klagt Organisator Kalle Becker in einer Erklärung auf der Internetseite seiner Agentur "think progressive". Diese hatten nach bekannt werden der Pfändung verlangt, bar ausgezahlt zu werden. (um)

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(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin)

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