Abgeschickt von manuel am 28 Februar, 2006 um 13:57:46
Antwort auf: Re: Vogelgrippe Die Wahrheit nur in den Köpfen unserer Geldmacher sinnlose Vernichtung von Tieren von Rabito am 15 Februar, 2006 um 23:23:36:
© Die Wochenzeitung; 27.01.2005[0]; Seite 1
Grippepandemie
Das Wundermittel
Wenn eine wirklich bösartige Grippepandemie losbricht, dürfte die Schweiz ohne Impfstoff dastehen.
Die Bundesverwaltung übte vor einer Woche, was sie täte, wenn das Virus das Land ins Chaos
stürzte (vgl. Seite 7). Aber hätten wir im Ernstfall nicht Tamiflu? Der Basler Chemiekonzern Roche
produziert das Medikament; es wirkt prophylaktisch, man kann aber auch die Grippe damit behandeln.
Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist es gegenwärtig das einzige Medikament, das gegen die
gefürchtete Vogelgrippe hilft. Nach Angaben von Roche ist das Mittel «voraussichtlich gegen alle
mutierenden Grippeviren wirksam». Inzwischen haben verschiedene Länder begonnen, Tamiflu-Lager
anzulegen. Roche konnte im letzten Jahr den Tamiflu-Umsatz mehr als verdoppeln und setzte damit
rund eine halbe Milliarde Franken um. Gegenwärtig baut das Unternehmen die Produktion kräftig aus.
Allerdings warnten Forscher in der Medizinzeitschrift «Lancet» davor, das Medikament könnte bei
einer Pandemie schnell wirkungslos werden, weil die Viren Resistenzen entwickelten.
Der Bund ist zurzeit ebenfalls daran, ein Pflichtlager für Tamiflu einzurichten. Bis 2006 sollen
genügend Medikamente bereitliegen, um 25 Prozent der Bevölkerung zu behandeln. «Auch diese
Medikamente werden also nicht für alle reichen», konstatiert Patrick Mathys, Epidemiologe beim
Bundesamt für Gesundheit. Wer bekommt sie? Was tut man, wenn sich Beschäftigte wie Kondukteure
oder Postangestellte weigern, ohne Tamiflu zur Arbeit zu gehen? Die Infrastruktur wäre sofort
lahmgelegt. Es braucht eine klare Prioritätenliste, wer das Mittel erhält. «Denn wenn es losgeht,
werden wir vermutlich keine Zeit haben, das lange zu diskutieren», sagt Patrick Mathys. sb
© Die Wochenzeitung; 27.01.2005[0]; Nummer 4; Seite 7
SCHWEIZ
Den Schweinemäster erwischts zuerst
Grippe-Pandemie · Die Bundesverwaltung übte vergangene Woche, wie einer dramatischen
Grippewelle zu begegnen wäre. Ein höllisches Szenario mit tausenden potenziellen Toten und einigen
offenen Fragen. Von Susan Boos[0]
Das Weltwirtschaftsforum Wef in Davos ist abgesagt. Demonstrationen und Veranstaltung sind
verboten. Die Schweiz steht Kopf. Schuld ist Köbi Muster. Der Mann züchtet in der Ostschweiz
Schweine und ist an Grippe erkrankt. Nur ist es keine gewöhnliche Grippe, sondern der Anfang einer
grauslichen Pandemie (siehe Kasten): 20 000 bis 40 000 Menschen könnten sterben.
Nach diesem Szenario übte die Bundesverwaltung am vergangenen Donnerstag den Ernstfall
Influenza-Pandemie - eine so genannte Strategische Führungsübung, geleitet von Laurent Carrel.
Etwa 500 Personen und alle sieben BundesrätInnen machten mit. Sie sollten unter Zeitdruck die
richtigen Massnahmen einleiten und mit Departementen zusammenarbeiten, mit denen sie sonst
kaum reden. Das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) mit dem
Departement des Innern beispielsweise. Wer darf befehlen? Die Militärs oder die ExpertInnen vom
Bundesamt für Gesundheit (BAG)?
Zum Übungsverlauf wollte Carrel nichts sagen, er sei noch daran, sich einen Überblick zu verschaffen.
Anscheinend lag die Federführung am Donnerstag beim BAG. Weil das BAG mehr über schlimme
Krankheiten weiss als die Armeeleute. Ob es dann im Ernstfall auch so sein wird, ist noch nicht
entschieden. Denn ohne Militär wird es nicht gehen, wenn die Katastrophe losbricht - darin sind sich
alle einig.
Damals starben 25 000
Vermutlich wird es den Schweinemäster Köbi Muster nie geben. Vermutlich wird die Pandemie nicht in
der Schweiz beginnen. Der Rest des Szenarios allerdings ist ein Déjà-vu. Es geschah am Ende des
Ersten Weltkrieges (1914-1918). Man nannte sie die Spanische Grippe. 1918 brach sie aus, und als
sie vorbei war, waren zwanzig bis vierzig Millionen Menschen tot. In der Schweiz starben 25 000
Menschen. Die Grippe begann wahrscheinlich in Nordchina, griff auf die USA über und wütete dort in
Militärcamps, bei Soldaten, die nach Europa in den Krieg sollten. Übel traf es zum Beispiel Camp
Devens in der Nähe von Boston. Ein Mediziner schrieb aus dem Camp, die Krankheit sehe am Anfang
aus wie eine normale Grippe, entwickle sich aber im Nu zur «bösartigsten Lungenentzündung, die ich
jemals erlebt habe. (...) Am Ende schnappen die Patienten vergebens nach Luft und ersticken. Es ist
grauenvoll. Man kann noch ertragen, ein, zwei, zwanzig Männer sterben zu sehen, aber hier krepieren
die armen Teufel wie die Fliegen. Wir haben hundert Tote pro Tag.» Die Särge gingen aus, die
Leichen stapelten sich.
Die überlebenden Soldaten brachten die Grippe nach Europa. In der Schweiz waren die ersten Opfer
auch Soldaten, die die Krankheit in die Dörfer schleppten. Die Grippe ging daraufhin in zwei Wellen
übers Land. Sie tötete vor allem junge Männer - und sie tötete schnell. Manche Soldaten wurden
morgens fiebrig eingeliefert, am Mittag hatten sie Lungenentzündung, am Abend waren sie tot.
Der gefährliche Virustyp H5N1
Wegen des Krieges herrschte damals Armut und Mangelernährung, und der Erreger war unbekannt.
Heute weiss man, wie die Grippeviren - die jährlich in der Wintersaison auftreten - aufgebaut sind.
Meist verändern sie sich von Jahr zu Jahr ein bisschen, sind aber selten gefährlich. Gefährlich wird
das Virus erst, wenn es einen genetischen Sprung macht. Beim Schweinemäster Köbi Muster war das
der Fall.
Am Anfang stand hier das Schweinegrippevirus. Schweine erkranken daran, Menschen eigentlich
nicht. Ein Schwein kann aber gleichzeitig auch ein menschliches Grippevirus in sich tragen. Kommen
die beiden zusammen, entsteht ein Schweinevirus mit humanen Zügen, das auf den Menschen
überspringen kann. Es entsteht ein neuer Virustyp, gegen den das menschliche Immunsystem nicht
gerüstet ist.
Ungemütlich wird es, wenn sich ein derartiges Virus so verändert, dass es direkt von Mensch zu
Mensch überspringen kann (was man zurzeit beim Vogelgrippevirus befürchtet; es hat in Asien schon
mehrere Todesopfer gefordert, wird aber noch nicht von Mensch zu Mensch übertragen). Das Biest
wäre gemeingefährlich - ein Niesen reicht, und das Gegenüber erkrankt. Das könnte der Anfang einer
neuen Pandemie sein. Und Köbi Muster wäre ihr erstes Opfer. Die WHO schätzt, dass rund dreissig
Prozent der hiesigen Bevölkerung erkranken würden. Ein Prozent davon würde vermutlich sterben.
Der Impfstoff reicht nicht
Ein grosses Sterben, das diesmal verhindert werden soll. Seit zehn Jahren arbeitet die Arbeitsgruppe
Influenza (AG Influ) des Bundes an einem Pandemieplan. Ein sechzig Seiten starkes, dramatisches
Papier. In der Zusammenfassung steht: «Wenn eine Grippepandemie ausbricht, muss auch in der
Schweiz mit einer Krisensituation, gar einer katastrophalen Lage, gerechnet werden.»
Doch gegen Grippe kann man impfen. «Nur muss man davon ausgehen, dass am Anfang einer
Pandemie kein und in deren weiterem Verlauf nicht genügend Impfstoff vorhanden ist», sagt Patrick
Mathys, der an der Führungsübung beteiligt war und beim BAG als Epidemiologe arbeitet. Eine
Impfung könnte also über Leben und Tod entscheiden. Aber wie wird das knappe Gut verteilt? Im
Pandemieplan steht: «Pandemien von katastrophalem Ausmass erfordern unter Umständen das
Einsetzen eines Notrechts, das beispielsweise die Verteilung des verfügbaren Impfstoffes regelt.» Wer
genau die vorhandenen Dosen bekommen soll, ist allgemein umschrieben: zuerst das medizinische
Personal - danach all jene, die für die Grundversorgung («Energie, Trinkwasser und Nahrungsmittel»),
für essenzielle Dienste («Transport, Kommunikation, Information») sowie für die innere und äussere
Sicherheit («Polizei, Feuerwehr und eventuell Teile der Armee») zuständig sind.
Heute bieten Berna Biotech (das frühere Schweizerische Serum- und Impfinstitut) sowie verschiedene
Konzerne wie Chiron, Aventis Pasteur oder GlaxoSmithKline in der Schweiz Grippeimpfstoffe an.
Berna wäre in der Lage, innerhalb von vier Monaten 1,2 bis 1,4 Millionen Impfdosen bereitzustellen.
Doch hat es einen Haken: Berna produziert nicht in der Schweiz. Das Unternehmen lässt die
Vorprodukte in Australien herstellen und fertigt in seinem Werk in Spanien die Impfstoffe. Die AG Influ
fürchtet, «dass Staaten im Falle einer Grippepandemie auch ein Exportverbot für Influenzaimpfstoffe
erlassen könnten. Dies gilt auch für im Ausland hergestellte Impfstoffe von Schweizer Firmen.»
Berna wäre laut einem Bericht der «Basler Zeitung» bereit, eine entsprechende Produktionsanlage in
der Schweiz zu bauen, wenn der Bund zehn bis fünfzehn Millionen Franken zuschiessen würde. Dafür
fehlten im Moment jedoch die rechtlichen Grundlagen, sagt Mathys: «Wir sind im Moment daran, diese
Frage zu evaluieren. Es wäre auch möglich, mit ausländischen Firmen einen Liefervertrag
abzuschliessen - hier müssten aber noch Lösungen gefunden werden, damit die Lieferung im Ernstfall
wirklich gesichert wäre.»
Wozu heute impfen?
Die AG Influ drängt, die gewöhnliche Grippeimpfung populärer zu machen - obwohl die Arbeitsgruppe
selber darauf hinweist, dass bereits durchgemachte Grippen zu einer Teilimmunität führen könnten.
Damit liesse sich erklären, weshalb während der Pandemie weniger ältere Menschen starben. Eine
These, die kritische Mediziner und Naturheilpraktikerinnen immer wieder vertreten: Eine gewöhnliche
Grippe kann gesund sein, weil sie das Immunsystem stärkt.
Sicher ist: Die gewöhnliche Grippeimpfung würde nicht gegen mutierte Viren - wie Köbi Muster eins
erwischte - schützen. Warum soll man sich trotzdem impfen? Die AG Influ schreibt: «Im Rahmen der
Influenzapandemieplanung ist eine möglichst hohe Durchimpfung der Bevölkerung auch während der
interpandemischen Phase [wenn nur die gewöhnliche Grippe auftritt, Red.] anzustreben, da eine
nachhaltig erhöhte Impfstoffnachfrage mittelfristig zu grösseren Produktionskapazitäten führt. Im Falle
einer Pandemie wäre es wichtig, über möglichst grosse (nationale) Produktionskapazitäten in der
Schweiz zu verfügen.»
Der Markt soll es also richten. Und wenn die Leute sich partout nicht impfen lassen wollen, sind sie
selber schuld an der nächsten Pandemie?
Eher müsste die Impfstoffherstellung gegen die bösartigen Grippeviren zum Service public erklärt
werden.
Literatur und Informationen:
Gina Kolata: «Influenza - die Jagd nach dem Virus». S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2001.
Nina Maria Korren: «Die Spanische Grippe in Zürich 1918/19». Dissertation. Zürich 2003.
Pandemieplan: www.bag.admin.ch
Epidemie und Pandemie
Von einer Pandemie spricht man, wenn eine Infektionskrankheit wie die Grippe weltweit während einer
begrenzten Zeit massiv auftritt. Im vergangenen Jahrhundert kam es zu drei Pandemien (1918, 1957,
1968). In manchen Ländern erkrankten bis zu dreissig Prozent der Bevölkerung, davon starben 0,6
Prozent. Von Epidemie spricht man, wenn eine Infektionskrankheit sich in einem räumlich begrenzten
Gebiet ausbreitet.