Abschied von Amerika
Freiheit, die wir meinen: Der Kultfilm „Easy Rider‟ kehrt in restaurierter Fassung ins Kino zurück
Von Bodo Mrozek 29.06.2006
Kult ist ein Werturteil, an dem sich die Geister scheiden. Kult ist gefühlte Kultur. Man kann ihn nicht erklären, man kann sich ihm nur nähern. Der Film „Easy Rider‟, der in restaurierter Leinwandfassung wieder ins Kino kommt, ist zweifellos ein Kultfilm. Die Leit(planken)kultur der Jugend des 20. Jahrhunderts prägte er wie nur wenige andere.
Als Dennis Hopper 1969 am Film arbeitete, herrschte Sommer, eine Jahreszeit, die eine halbe Dekade dauern sollte. Der Summer of Love - wie ihn eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn unlängst nannte 5 - war Ausdruck einer Aufbruchstimmung. Die Studenten auf dem Campus von Berkeley probten den Aufstand. An der Ostküste fochten die Black Panther den Kampf gegen Diskriminierung der Schwarzen mit Waffengewalt. Indianer formierten sich zur sozialen Bewegung und forderten ihre angestammten Gebiete zurück. Und in Haight-Ashbury, einem Viertel von San Francisco, verkleideten sich weiße Mittelständler mit wallenden Gewändern und solidarisierten sich mit so ziemlich allem: den Minderheiten, der Musik, den Pflanzen, den Tieren, dem Weltall.
Das Zeitalter des Wassermanns ist auch die Geburtsstunde von „Easy Rider‟. Seine Väter standen der Hippie-Bewegung nahe. Der 29-jährige Fonda und der vier Jahre ältere Hopper hatten schon 1967 in Roger Cormans psychedelischem LSD-Film „The Trip‟ mitgewirkt. Nun wollten Produzent Fonda und Hopper ein zeitgemäßes Road-Movie drehen in der Tradition von Cormans „Wild Angels‟ (1966). Trotz des geringen Budgets von 300 000 Dollar sollte es ein kommerzieller Film werden. Er gewann die Goldene Palme von Cannes und wurde für zwei Oscars nominiert.
Zwei junge Männer knattern auf aufgemotzten Motorrädern durch Amerika. Sie starten in Los Angeles, Ziel ist New Orleans. In der Eingangssequenz haben sie ein Päckchen Kokain in einer Autobatterie aus Mexiko geschmuggelt und an einen Pusher verkauft, gespielt vom Musik-Produzenten Phil Spector. Die Reise führt durchs Hinterland. Je weiter beide vordringen, desto brutaler schlägt ihnen die Feindseligkeit der ländlichen Puritaner entgegen. „Ein Mann suchte Amerika, doch er konnte es nirgendwo mehr finden‟, steht auf dem deutschen Kinoplakat.
Warum diese simple Geschichte in eher schlechter Qualität (eine Restaurierung der alten Fassung war tatsächlich dringend notwendig) zum Kultfilm taugte, ist schwer zu sagen. Es mag an der fast dokumentarischen Kamera liegen. Da ist die Hippie-Kommune, die sich mit der Saat auf unfruchtbarem Boden abmüht. Berühmt wurde der 360-Grad-Schwenk über ausgemergelte, bärtige Gesichter, halb Märtyrer, halb Pilgrim-Fathers, mehr Fotografie als Film. Da ist der Farmer mit seiner mexikanischen Frau und einer gewaltigen Kinderschar, der den Melting-Pot des Einwandererlandes ebenso repräsentiert wie das alte, ländliche Amerika. Und schließlich sind da die Rednecks und Hillbillys, vertreten durch sadistische Hilfssheriffs und militante Südstaatler - White Trash. An ihnen wird der Traum der Freiheit, die hier eine Freiheit der Anderslebenden ist, schließlich zerbrechen. Brutal zerschlagen von Baseballschlägern, erschossen bei einem sinnlosen Drive-By-Shoot.
„Easy Rider‟ ist weder ein reiner Hippie- noch ein Rockerfilm, obwohl er seine Vorbilder ausgiebig zitiert. „The Wild One‟ mit Marlon Brando. „Rebel Without A Cause‟ mit James Dean. Aber die Protagonisten sind keine Halbstarken, auch wenn die chromglänzenden Ikonen an die erste Generation der Popkultur erinnern. (Die im Film verwendeten Motorräder werden kurz vor Abschluss der Dreharbeiten geklaut.) Die Firma Harley Davidson steht Ende der Sechziger vor dem Konkurs, der Film kreiert die Legende, von der die Firma bis heute zehrt.
Die eigentliche Bedeutung von „Easy Rider‟ rührt eher von seiner Semantik. Die Symbole des Films konnte man überall auf der Welt entschlüsseln. Captain America, der Comic-Held, und Billy The Kid, das Western-Idol. Der Motorradfahrer als später Nachfolger des Cowboys. Der Weg als Ziel. Es spricht viel dafür, dass „Easy Rider‟ das erste echte Roadmovie ist, das Jack Kerouacs rauschhaften Roman „On the Road‟ in die Bildsprache des Kinos übersetzte. Dazu kam die Musik. Statt eines komponierten Soundtracks spielte Hopper die Stücke seiner psychedelischen Lieblingsbands komplett aus: The Electric Prunes, The Jimi Hendrix Experience, The Byrds. Und allen voran natürlich die Titelhymne von Steppenwolf, „Born To Be Wild‟.
Der heutige Betrachter dürfte dennoch seine Schwierigkeiten haben. Wenn man „Easy Rider‟ wiedersieht, scheint das 20. Jahrhundert, das nicht nur eines der Weltkriege, sondern auch das der Jugendkulturen war, sehr weit weg zu sein. Obwohl die Konfrontation des amerikanischen Traums mit der Realität, der Idealist und der Reaktionär, an Aktualität nichts verloren hat, wirkt der Film seltsam historisch. Die Zeiten, in denen „Langhaarige‟ in Arizona oder Oberbayern von einem aufgebrachten Mob mit einer Schere zwangsfrisiert wurden, sind vorbei. Über die Route 66 knattern Familienväter auf einer Full-Dresser-Maschine zum Erlebnisurlaub. Die Helden der Jugendkulturen zieht es nicht mehr von der Stadt in die Prärie, sondern umgekehrt vom Land in die großen Städte. Und selbst in der Kleinstadt kann man Popgeschichte schreiben, wie die Bücher „Dorfpunks‟ (Rocko Schamoni) oder „Fleisch ist mein Gemüse‟ (Heinz Strunk) selbst hierzulande beweisen.
Damals aber, im Sommer der Liebe, träumen Teenager noch. Manches wird dabei zum Albtraum. Die Konflikte der Sechziger eskalieren 1969. In Chicago schlagen Polizeitruppen die Aufstände der Black Panther blutig nieder und erschießen mehrere Bürgerrechtler. Anhänger des vormaligen Hippies und Satanisten Charles Manson ermorden das Fotomodell Sharon Tate und ihr ungeborenes Baby. Im Dezember erstechen Mitglieder des Harley-Davidson-Rockerclubs „Hell’s Angels‟ auf dem Rockfestival von Altamont zu den Klängen von „Under My Thumb‟ einen Schwarzen. Dem Sommer der Liebe im Schlamm von Woodstock folgte der Herbst des Hasses.
„Easy Rider‟ hat dieses Ende vorweggenommen. Vor allem hat der Film ihn in alle Welt exportiert und den Kult um das Motorrad, um im Fahrtwind flatterndes Haar und die Freiheit auf Rädern begründet. Eine Zeitreise, die immer noch berührt. Kult ist oft Nostalgie. Und Nostalgie ein anderes Wort für Wehmut.
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